Thorsten Schulten

Thorsten Schulten

Interview mit Dr. Thorsten Schulten

Referatsleiter für Arbeits- und Tarifpolitik in Europa beim WSI -

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung

 

Tarifeinheit war ein Schlagwort, das vor allem im Zuge des Streiks bei der Bahn immer wieder fiel. Was verbirgt sich dahinter?

Ich glaube, hier muss man zwei Dinge unterscheiden: Bei der Bahn haben wir die besondere Situation von zwei konkurrierenden Gewerkschaften, bei der die GDL explizit für konkurrierende Tarifverträge eintritt, während die zum DGB gehörende EVG für eine Kooperation beider Gewerkschaften im Rahmen einheitlicher Tarifverträge plädiert.

Davon zu unterscheiden ist die zunehmende Zersplitterung der Tariflandschaft für die vor allem die Arbeitgeber verantwortlich sind. Diese haben durch den massenhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern und Werkverträgen dafür gesorgt, dass in vielen Betrieben schon lange keine Tarifeinheit mehr besteht, sondern die Belegschaften in verschieden Klassen aufgeteilt wurden.

 

„Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt man so. Stimmt das auch in diesem Fall?

Die Strategie der Arbeitgeber zielt natürlich in erster Linie darauf, durch die Zersplitterung der Tariflandschaft die Arbeitskosten zu senken und die Gewinne zu erhöhen. Das Ganze geht dann vor allem auf Kosten der so genannten Randbelegschaften. Gleichzeitig werden jedoch auch die verbleiben Kernbelegschaften durch die Etablierung unterschiedlicher Lohn- und Arbeitsstandards unter Druck gesetzt. Ob diese Strategie auf lange Sicht tatsächlich aufgeht, ist jedoch äußerst fraglich. Durch die zunehmende Zersplitterung werden schließlich auch die Unternehmen selbst viel anfälliger. So können Tarifauseinandersetzungen in kleinen Bereichen oder bei einzelnen Arbeitnehmergruppen leicht ganze Produktionsketten lahm legen.

 

Die Tarifeinheit hilft also Arbeitnehmern und Arbeitgebern?

Natürlich! Die Funktion des Flächentarifvertrages besteht ja nicht nur darin, für alle Beschäftigten einer Branche gleiche Mindestbedingungen festzulegen, sondern auch für die Unternehmen einen bestimmten Wettbewerbs-und Ordnungsrahmen zu schaffen. Einheitliche Tarifverträge erlauben den Unternehmen auch stabile und kalkulierbare Arbeitsbeziehungen aufzubauen.

 

Löst das von Andrea Nahles vorgeschlagene Tarifeinheitsgesetz die Probleme der Tarifzersplitterung?

Im Kern geht es bei dem geplanten Tarifeinheitsgesetz ja lediglich um die Frage, wie man mit einer Situation umgeht, in der konkurrierende Gewerkschaften konkurrierende Tarifverträge abschließen. Ob die Zusammenarbeit der Gewerkschaften in diesem Fall durch das Gesetz tatsächlich gefördert wird, ist äußerst umstritten. In jedem Fall gibt das Gesetz keine Antwort auf die durch die Arbeitgeber verursachten Spaltungen der Tariflandschaft. Dem können am besten starke Gewerkschaften entgegentreten. Am Ende ist vor allem eines wichtig, Sich zu organisieren!